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Die letzten Pesttoten von Wien im Jahr 1898

Der schwarze Tod

Pestmaske

Die Pest ist eine hochgradig ansteckende Krankheit, die durch das Bakterium "Yersinia pestis" ausgelöst wird. Früher wurde sie auch als "Pestilenz" oder "schwarzer Tod" bezeichnet. Die bekanntesten Formen sind die Beulenpest und die Lungenpest. Ursprünglich handelte es sich um eine Zoonose, also eine vom Tier zum Menschen und umgekehrt übertragbare Krankheit. Die Übertragung der Beulenpest erfolgt klassischerweise über den Biss eines infizierten Flohs. Es ist aber auch eine direkte Mensch-zu-Mensch-Ansteckung über Tröpfcheninfektion möglich. Über diesen Weg verbreitet sich in erster Linie die Lungenpest. Heutzutage existiert eine Impfung gegen den Erreger und eine Infektion kann mit Antibiotika behandelt werden.  In Bezug auf Ansteckungsgefahr und Sterblichkeitsrate ist allerdings keine andere Seuche mit der Pest vergleichbar. Das Tückische an der Krankheit ist die kurze Inkubationszeit und vor allem, dass die ersten Symptome kaum von einer Grippe zu unterscheiden sind. Wird ein Patient nicht sofort richtig behandelt, verläuft die Erkrankung fast immer tödlich. Menschen jeden Alters sind gleichermaßen gefährdet. Auch gewährt ein einmaliges Überstehen der Krankheit keine Immunität

 

Das Wort „Pest“ leitet sich vom lateinischen Wort "pestis" ab und bedeutet "Seuche". Daher wurden früher auch alle anderen Seuchen, unabhängig von der Krankheit als "Pest" bezeichnet".  In diesem Sinne ist auch Corona eine" Pest".

 

Pestzeiten

Schon die Bibel berichtet über Pestseuchen.  Eine Pandemie trat nach heutigem Wissensstand zuerst in Zentralasien auf und gelangte über die Handelsrouten, wie z.B. die Seidenstraße, nach Europa. Aus dem östlichen Mittelmeerraum verbreitete sich die Krankheit wahrscheinlich über Rattenflöhe im restlichen Europa. Im 14. Jahrhundert raffte die Pest an die 25 Millionen Menschen dahin. Das war ein Drittel der damaligen Bevölkerung.  1381 war ganz Österreich von der Pest betroffen. Im Zeitraum von 2,5 Monaten brachte die Pest in Wien ca. 40.000 Menschen den Tod.

 

Ende 1677 verbreitete sich die Beulenpest von der Türkei aus über Ungarn bis nach Wien. Hier verzeichnete man vorerst nur vereinzelte Fälle. Als aber andauernde Hitze und heftige Regenfälle einsetzten, kam es zu einem rapiden Anstieg der Krankheitsfälle. Der Krankheitsverlauf von den ersten Anzeichen bis zum Tod betrug meist nur 12 Stunden. Da sich niemand freiwillig zum Kranken- und Totendienst meldete, wurden Verbrecher dazu gezwungen. Auch Ärzte mussten teilweise in Fesseln zu den Kranken geführt werden. 1713 kam die Pest abermals nach Wien. Damals erkrankten ca. 6.000 Menschen, von denen über 90 % starben. 

  

Die Menschen fassten die Pest häufig als Strafe Gottes auf. Das führte vielerorts dazu, dass sie sich in ihr Schicksal ergaben und gar nicht erst versuchten etwas dagegen zu unternehmen. Stattdessen florierten Bußpraktiken, Messen, Prozessionen und Gebete an die Pestheiligen Rochus und Sebastian. Diese Menschenansammlungen trugen wiederum zur weiteren Verbreitung der Krankheit bei. Erst 1498 untersagte man in Venedig beim Auftreten der Pest alle Gottesdienste, Prozessionen, Märkte und Versammlungen. Das massenhafte Sterben führte zur Anlage von Pestfriedhöfen mit Sammelgräbern. 

 

Die sozialen Auswirkungen des Schwarzen Todes waren ebenfalls verheerend. Man warf den Juden vor, durch Giftmischerei und Brunnenvergiftung die Pandemie ausgelöst zu haben. Die Folge waren Judenprogrome in vielen Teilen Europas. 

 

Die Laboratoriumsepidemie von 1898

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gehörten die großen Seuchen und Epidemien in Europa längst der Vergangenheit an. In Indien kam es im Jahr 1897 zu einem Pestausbruch. Die Akademie der Wissenschaften in Wien beschloss, einige Ärzte zu Studienzwecken nach Bombay zu entsenden. Leiter der 5-köpfigen Delegation war der Internist der Klinik Nothnagel - Dr. Hermann Franz Müller. Nach drei Monaten kehrte die Expedition im Mai nach Wien zurück. Für weitere Forschungen hatte das Team Pestkulturen mitgebracht. Für die Forschungsarbeiten und die damit verbundenen Tierversuche richtete man im Pathologischen Institut im AKH ein eigenes "Pestzimmer" ein.

 

Der Institutsdiener Franz Barisch war für die Fütterung der Versuchstiere und die Instandhaltung der Räumlichkeiten zuständig. Infolge einer Unachtsamkeit infizierte er sich mit dem Pestbazillus.  Als sich Barisch am 15. Oktober 1898 krank meldete, dachte man zunächst an eine normale "Unpässlichkeit". Nach einer ersten Untersuchung diagnostizierte man eine harmlose Lungenentzündung. Dr. Müller ließ Barisch aber zur Sicherheit aus seiner Dienstwohnung, wo ihn seine Frau betreut hatte, in ein  "Isolierzimmer" der Klinik Nothnagel bringen. Zur Pflege wurden die erfahrene Krankenwärterin (so nannte man damals die Krankenpfleger) Johanna Hochecker und die Anfängerin Albine Pecha bestimmt. Bereits 3 Tage nach Ausbruch der Krankheit verstarb Barisch am 18. Oktober. Erst jetzt zeigten die bakteriologischen Untersuchungen des Sputum haufenweise Pestbazillen an. Zur Abklärung der Todesursache wurde auch eine Ratte mit Barischs Speichel geimpft. Nachdem sie verendete, bestand kein Zweifel mehr. Barisch war an Lungenpest verstorben.

 

Die Zeitungen berichteten in großen Schlagzeilen und versetzten die Bevölkerung in Angst und Schrecken vor der drohenden Gefahr. Viele Touristen verließen fluchtartig Wien.  Im 17. Bezirk errichtete man für den Fall einer Epidemie ein eigenes Spital mit 50 Betten. Am 20. Oktober wurden die beiden Krankenwärterinnen im Kaiser Franz Josef-Spital in einer sogenannten "Exspektanzbaracke" hermetisch isoliert. Albine Pecha fühlte sich bereits krank. Miteingeschlossen wurden 3 Herz-Jesu-Schwestern, die die Krankenpflege übernahmen. Dr. Müller schloss sich 

Fieberkurve von Dr. Müller, der an der Lungenpest erkrankt war
Fieberkurve von Dr. Müller

freiwillig an und ging mit den Frauen in Isolation. Er erhoffte sich als behandelnder Arzt weitere Erkenntnisse sammeln zu können. Er selbst nahm das Abwaschen der Wände mit desinfizierenden Lösungen und frischen Tünchungen vor. Vermutlich infizierte er sich bei dieser Tätigkeit und war bereits einen Tag später krank. Auf einem Zettel, den er an die Fensterscheibe hielt, übermittelte er die Nachricht: „Ich bin an Pestpneumonie erkrankt. Bitte mir keinen Arzt zu senden, da es mit mir in vier bis fünf Tagen ohnedies zu Ende sein wird.“ Pechas Zustand verschlechterte sich rasch, während Hochecker sich gesund fühlte. Nachdem Dr. Müller nicht mehr in der Lage war seinen Dienst als Arzt auszuüben, übernahm der junge Arzt Dr. Rudolf Pöch diese Aufgabe. Er war nicht nur ein Mitglied des Forschungsteams von Dr. Müller, sondern auch dessen Freund. 

 

Mittlerweile wurden auch einige Kontaktpersonen der Isolierten abgesondert. Die Sicherheitsmaßnahmen unterschieden sich nicht groß von den heute üblichen Vorschriften wie Isolation, Maske, Desinfektion und Abstand halten. Für die Visite bei einer der isolierten Personen musste der Arzt vor und nach dem Besuch jeweils ein Vollbad nehmen und alle Kleidungsstücke wurden sofort verbrannt. Bei 8 Patienten, die er mindestens 4 mal am Tag aufsuchte, bedeutete dies eine Menge an Bädern und Kleidungswechseln. Es gibt wohl keinen 2. Arzt der jemals nur annähernd sooft am Tag badete wie Dr. Pöch während dieser angespannten Zeit. 

 

Dr. Müller starb am 23. Oktober. Bei der Versorgung der Leiche und des Begräbnisses wurden ebenfalls strengste Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Der Leichnam wurde um 5 Uhr früh auf den Zentralfriedhof überführt und unter Ausschluss der Öffentlichkeit beerdigt. 

 

Inzwischen hatte man aus Paris ein erst kürzlich entdecktes, neuartiges Serum gegen den Pesterreger besorgt. Alle Patienten wurden damit mehrfach geimpft. Obwohl es bei einigen der isolierten Patienten Krankheitsanzeichen gab, konnten schlussendlich alle pestfrei aus der Station entlassen werden. Sie hatten zwar noch bis zu 14 Tage an den Nebenwirkungen der Impfungen zu leiden, wurden aber wieder ganz gesund. Nur Albine Pecha half auch das Serum nicht mehr. Nach mehreren Krankheitsschüben verstarb sie schließlich am 30. Oktober. Auch ihre Leiche wurde in aller Frühe am Zentralfriedhof in einem Grab direkt neben Dr. Müller beigesetzt. 

 

Dr. Rudolf Pöch wurde für seinen Einsatz zur Verhinderung einer Pest-Epidemie von zahlreichen wissenschaftlichen Vereinigungen zum Ehrenmitglied ernannt und der Kaiser verlieh ihm einen Orden. 

 

literarische Werke über das Ereignis

Wie schon in früheren Jahrhunderten wurde dieser Pestunfall von antisemitischen Gruppen verwendet um gegen Juden zu hetzen. So nützte z.B. das "Deutsche Volksblatt" die Vorfälle für eine Kampagne gegen jüdische Mediziner. Ein prominenter Vertreter der in die Kritik an der medizinischen Fakultät einstimmte, war Karl Lueger. Das alles, obwohl an der gesamten Geschichte rund um den Pestunfall kein einziger Jude beteiligt gewesen war.  

 

Die Ereignisse rund um diese Pestfälle und die Reaktionen der Gesellschaft, der Medien und der Politik verarbeitete der Autor Stefan Pollatschek in seinem Roman "Pest". So wie in Albert Camus Roman "Die Pest" geht es auch in diesem Buch um mehr als nur die Geschichte des Pestausbruchs. Für Pollatschek ist auch der Antisemitismus eine Pest. Er schrieb den Roman 1938. Kurze Zeit später flüchtete er als Jude vor den Nationalsozialisten. 1939 erschien in Warschau die polnische Übersetzung „Dżuma“. 1948 wurde das Buch in Österreich dann doch noch unter dem Titel "Dozent Müller. Die Tragödie eines Wiener Arztes" herausgebracht.  

 

Auch Barbara Büchner hat die Ereignisse in ihrem historischen Roman "Der Pestarzt" verarbeitet. Barbara Büchner wurde 1950 in Wien geboren und ist freie Schriftstellerin und Journalistin. Der vielseitigen und preisgekrönten Autorin wurde der österreichische Staatspreis für journalistische Leistungen verliehen.

 

Die Gräber

Ehrengräber von Albine Pecha und Dr. Hermann Müller, die letzten Pesttoten von Wien 1898

Die beiden ehrenhalber gewidmeten Gräber der letzten Pesttoten von Wien, Dr. Hermann Franz Müller und Albine Pecha, findet man in der Gruppe 38, Reihe 4, Nr. 121 und 122. Am besten zu erreichen sind diese letzten Ruhestätten vom Tor 3 aus. 

 

Die Inschrift auf Albine Pechas Grabstein lautet: "Ich kenne deine Werke und deinen Glauben und deine Liebe und deine Dienstleistung und deine Geduld und deine letzten Werke, die mehr sind als die früheren. "

 

Das Grab von Dr. Hermann Franz Müller ist oben mit einer Rosenranke geschmückt. Die Rose steht für ewige Liebe, Schönheit und Reinheit, die Dornen weisen auf das Leiden 

Grabstein von Franz Barisch am Zentralfriedhof

und den Schmerz hin. Unter einer Totenmaske ist ein auseinandergerissener schwarzer Lorbeerkranz angebracht. Der Lorbeer ist Symbol für Sieg, Ehre, Ruhm und Frieden. 

 

Das Grab, in dem Franz Barisch am 20.10.1898 begraben wurde, befindet sich ebenfalls am Zentralfriedhof. Es ist in der Gruppe 71B/Reihe 10/ Nr. 42 zu finden. Es liegt nahe beim Tor 9. Es ist ein privates Grab, dessen Nutzungsrecht bereits Ende 2019 abgelaufen ist.  Es liegt nur mehr der umgefallene Grabstein da, auf dem zu lesen ist: "Hier ruhet Herr Franz Barisch - gest. am 18. October 1898 - im 29. Lebensjahre - Tief betrauert von seiner Gattin! - Auf Wiedersehen!" Ich würde mich freuen, wenn dieses Grab aus historischen Gründen erhalten würde.

 

Die Toten

Dr. Hermann Müller , letzter Pesttote von Wien

Dr. Hermann Franz Müller (1866-1898)

Hermann Franz Müller wurde am 25.10.1866 in Wien geboren und studierte dort auch Medizin. Er war bereits 1892 Assistent bei Ziemssen in München. Ab 1895 hatte er einen Assistenzposten bei Dr. Nothnagel in Wien. 1897 leitete er die österreichische Pest-Expedition in Bombay.  Bei seinem selbstlosen Einsatz nach dem Laborunfall starb er selbst am 23.10.1898. Dr. Müller hinterließ histologische Studien über Leukämie, Lymphämie und über Asthma bronchiale. Außerdem beschäftigte er sich mit Fragen der Nervenpathologie und mit der Klinik und Pathologie der Pest. Ein von ihm verfasstes Werk darüber blieb unvollendet und wurde später von seinem Kollegen Dr. Rudolf Pöch publiziert.  

Denkmal Dr. Franz Müller im 9. Hof des Alten Wiener AKH

Als Dank für sein umsichtiges Handeln, das eine Epidemie verhinderte, wurde sein Grab am Zentralfriedhof ehrenhalber gewidmet. Zum Gedenken an Müller als das Vorbild für kommende Generationen von Ärzten sammelte man Geldspenden zur Errichtung eines Denkmals. Dieses befindet sich im 9. Hof des Wiener AKH (heutiger Uni-Campus). Das Denkmal wurde vom Künstler Richard Kauffungen geschaffen. Unter der Büste stellt ein Relief eine Szene einer römischen Sage dar. Der noble Marcus Curtius springt mit seinem Pferd in einem Akt der Selbstaufopferung in eine Kluft, um das Vaterland zu retten. Dem gleichzusetzen ist die Opferbereitschaft von Dr. Müller bei der wissenschaftlichen Aufklärung der Seuche, der umsichtigen Behandlung und Absonderung der Infizierten. Damit hat er Wien vor einer Epidemie verschont.  

Albine Pecha, die letzte Pesttote von Wien 1898

Albine Pecha (1877 - 1898) 

Albine Pecha wurde am 4. Mai 1877 vermutlich in England geboren. Deshalb wurde sie allgemein nur "die Engländerin" genannt. Sie war als Krankenpflegerin eine blutjunge Anfängerin und erst seit 14 Tagen im Dienst in der chirurgischen Abteilung des AKH. Davor arbeitete sie als Stubenmädchen, hatte aber das Dienen in dieser Form satt. Ihr erster Pflegling war der Student Petrovich. Er hatte sich beim Sezieren einer Leiche in den Finger geschnitten. Als er Rotlauf bekam, wurde er gemeinsam mit Pecha in einem separierten Zimmer isoliert. Einige Tage darauf verstarb der Patient an Blutvergiftung. Dieses Ereignis veranlasste Pecha zu kündigen. Auch ihr Verehrer drängte sie dazu. Sie hatte ihn  während seiner Kur in Karlsbad kennengelernt und plante dem Gutsbesitzer in seine Heimat nach Irland zu folgen. Der 30. Oktober wäre ihr letzter Arbeitstag im AKH gewesen. Schlussendlich war dies ihr Todestag. 

 

Franz Barisch (1871 - 1898)

Franz Barisch wurde in Laa/Thaya geboren. Seine Eltern wohnten dort im Armenhaus. Barisch war bekannt dafür, dass er einem guten Tropfen nicht abgeneigt war. Ansonsten galt er als sehr verlässlich und gewissenhaft. Zum Dienst für das "Pestzimmer" meldete er sich freiwillig. Barisch bewohnte mit seiner Frau eine Dienstwohnung im 4. Stock des sogenannten "Narrenturm".  Nach der Infektion mit dem Pestbazillus starb Franz Barisch am 18. Oktober 1898. Seine Mutter kam anlässlich des Begräbnisses nach Wien, wo sie sich längere Zeit bei ihrer Schwiegertochter in der Wohnung aufhielt. Von dort nahm sie auch die Kleider des verstorbenen Sohnes mit nach Hause. Als dies bekannt wurde, brachte die Gendarmerie die Frau ins dortige Bürgerspital in Isolation. Das Gewand des Verstorbenen wurde auf Anordnung des Amtsarztes vernichtet. Auch unzähligen Kontaktpersonen in Laa und Umgebung wurde Quarantäne verordnet.


Bildquellen:

  • Porträt Dr. Müller: regiowiki
  • Porträt Albine Pecha: akpool
  • Gräber von Pecha und Müller: Karin Kiradi
  • Grab von Barisch: Karin Kiradi
  • Denkmal Dr. Müller im Hof des Alten AKH : Karin Kiradi
  • Pestmaske: Museum Leogang
  • Fieberkurve Müllers: Vitalis-Verlag

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Kommentare: 1
  • #1

    Stephanie Fehrensen (Freitag, 11 Juni 2021 16:50)

    Eine sehr interessante und bewegende Geschichte! Danke dafür!