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Dr. Rudolf Pöch (1870 - 1921)

Vom Pest-Epidemie-Verhinderer zum Anthropologen

Portrait Von Dr. Rudolf Pöch

Frühe Jahre

Rudolf Pöch wurde am 17.04.1870 in Tarnopol (Galizien)  als Sohn des Direktors der Karl Ludwigs-Bahn in Galizien geboren. Die Matura machte er 1888 am Wiener Piaristengymnasium und studierte an der Universität Wien zuerst Jus und Philosophie, später Medizin. Nach seiner Promotion 1895 erhielt er einen Posten als Assistenzarzt im Wiener AKH.

 

Pest-Ausbruch in Wien

1897 nahm er an einer Expedition der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zum Studium der Pest in Bombay teil. Geleitet wurde die 5-köpfige Kommission von Dr. Hermann Müller. Im Zuge von anschließenden Forschungsarbeiten im AKH starb im Oktober 1898 der Labordiener Franz Barisch an einer Infektion mit dem Pestbazillus. In der darauf notwendigen Isolation von 2 Krankenpflegerinnen übernahm Dr. Müller deren Betreuung. Als der Arzt selbst erkrankte, übernahm Dr. Pöch dessen Dienst in der Isolierbaracke des Kaiser Franz Josef Spital. Durch seinen Mut trug er maßgeblich dazu bei, dass eine Lungenpest-Epidemie in Wien verhindert werden konnte. In weiterer Folge starben Dr. Müller und die Krankenschwester Albine Pecha. Alle anderen infizierten Personen konnten gerettet werden. Für Dr. Pöch war das sicherlich ein prägendes Ereignis, zumal Dr. Müller nicht nur ein Kollege, sondern auch sein Freund war. Er hielt einen ausführlichen Nachruf für Dr. Müller und vollendete auch dessen Forschungsdokumentation über die Pest und publizierte sie auch.  In Anerkennung seiner Verdienste wurde Rudolf Pöch am 31.10.1898 das Ritterkreuz des Franz Josef-Ordens verliehen. Von der Stadt Wien erhielt er die große goldene SalvatormedailleHinweis: Die Details zum Pestausbruch von 1898 in Wien sind in folgendem Blogartikel nachzulesen: "Die letzten Pesttoten von Wien".  

 

Dr. Rudolf Pöch auf Forschungsreise als Anthropologe

Forschungsreisen als Anthropologe 

Zwei Jahre später ging Dr. Pöch nach Berlin und studierte dort Anthropologie und Ethnographie. Sein Praktikum machte er im Museum für Völkerkunde in der afrikanisch-ozeanischen Abteilung. Inspiriert von dieser Tätigkeit unternahm er 1902 im Auftrag des Hamburger Tropeninstitutes eine Malaria-expedition nach Westafrika.  Von 1904 bis 1906 machte er eine Forschungsreise nach Neuguinea. Dort entdeckte er den kleinwüchsigen Stamm der Kai. Während seiner Studienreise nach Südafrika 1907 bis 1909 studierte er die Kultur der San. Hier verglich er u.a. zwei große Gruppen von Buschmännern miteinander. Bei seinen Forschungen stand die Rassenlehre im Vordergrund. Die sogenannten "Buschmänner" galten dabei als ein nicht vollständig ausgebildeter Menschentyp. 

 

Aufgrund seiner vielfältigen wissenschaftlichen Interessen waren aber auch seine Forschungen breit gefächert. So untersuchte er nicht nur die physisch-anthropologischen Merkmale der Eingeborenen, sondern auch deren Kunst, die Sprache, Gesänge und vieles mehr. Bemerkenswert war seine technische Ausrüstung. So hielt er seine Reisen bereits mit einer Kamera fest. Damit wurde Dr. Pöch auch  zu einem Pionier des Dokumentarfilms. Es existieren sogar viele Tonaufnahmen von seinen Reisen.  

Im Ersten Weltkrieg wurde Dr. Pöch als Militärarzt dienstverpflichtet. Sein Institut untersuchte vor allem russische Kriegsgefangene auf ihre morphologischen „Rassenmerkmale“. Von 1915 bis 1918 führte er in den österreichisch-ungarischen und deutschen Kriegsgefangenenlagern anthropologische Untersuchungen durch. 

 

Ämter und Ehrungen in Wien

1910 wurde Dr. Pöch Privatdozent für Anthropologie und Ethnograghie an der Uni Wien. Bis 1913 war er auch Assistent am Phonogrammarchiv der Akademie der Wissenschaften in Wien. 1913 wurde er außerordentlicher Professor an der Universität Wien und begründete den Lehrstuhl für Anthropologie und Ethnographie. Gleichzeitig gründete er das Anthropologisch-ethnographische Institut der Universität. Den Grundstock legte Dr. Pöch mit seiner eigenen Sammlung. 1915 erwarb er an der Universität München mit einer Schädelstudie über Neu-Süd-Wales den akademischen Grad "Dr. phil".  Darauf wurde er 1919 zum ordentlichen Professor an der Uni Wien ernannt. Sein Schwerpunkt lag auf der physischen Ethnographie. Er wurde vielfach geehrt und ausgezeichnet, u. a. war er Ehrenmitglied der Geographischen Gesellschaft in Wien.  Er wurde  in die Österreichische Akademie der Wissenschaften berufen. Vom Beginn des ersten Weltkriegs bis 1916 wirkte Dr. Pöch als Vorstand der II. Abteilung des Verwundeten-Spitals der Universität Wien. Dafür wurde er mit dem Ehrenzeichen II. Klasse vom Roten Kreuz  ausgezeichnet. 

 

Der Nachlass

1921 verstarb Dr. Pöch plötzlich und unerwartet am 04. März 1921 an einer Tropenkrankheit. Seine wissenschaftlichen Arbeiten blieben aufgrund des plötzlichen Todes teilweise unvollendet und wurden größtenteils nicht publiziert.  Sein Nachlass an Forschungsarbeiten wurde nach seinem Tod auf mehrere Institutionen aufgeteilt.  Den Großteil seiner Sammlerstücke verwaltet das Naturhistorische Museum und die Österreichische Akademie der Wissenschaften. Seine für die damalige Zeit revolutionäre technische Ausrüstung befindet sich im Naturhistorischen Museum. Seine Tonaufnahmen beherbergt das Wiener Phonogrammarchiv und seine Filmaufnahmen das Filmarchiv Austria

 

Dr. Pöchs Forschungsmethoden aus heutiger Sicht

Seit der kritischen Forschung der 1990er Jahre gilt Dr. Pöch als Vorläufer der nationalsozialistischen Rassenforschung. Auch seine Akquisitionsmethoden für Sammlerstücke werden aus heutiger Sicht kritisch gesehen. Im Auftrag der Stadt Wien hat eine Kommission 2011 - 2013 die historische Bedeutung von Persönlichkeiten, nach denen Wiener Straßen benannt sind, untersucht. Laut Abschlussbericht dieser Forschungsgruppe ist die Sammlertätigkeit von Dr. Pöch im Dienste der Wissenschaft als problematisch einzustufen. So nahm er im Zuge von Forschungsexpeditionen die gesetzwidrige Ausfuhr von geraubten Leichnamen vor. Diese dienten in Wien der „Rassenforschung“.  Zahlreiche menschliche Überreste aus der "Sammlung Pöch" wurden 2011 und 2012 restituiert.   

Staatsbegräbnis in Südafrika der restituierten Leichen von Klaas und Trooi Pienaar

Der bekannteste Fall ging 2012 durch die Medien. Die meisten der von Dr. Pöchs Team nach Österreich transportierten Leichen blieben anonym. In der Regel waren keinerlei Informationen über die betreffenden Personen bekannt. Aufgrund einer polizeilichen Untersuchung in Südafrika lagen aber detaillierte Fakten zu einem Fall vor. Es handelte sich dabei um das Ehepaar Klaas und Trooi Pienaar aus der Umgebung von Kuruman, die Ende 1909 an Malaria starben. Ihre Leichen wurden kurz darauf von Mitarbeitern Pöchs exhumiert. Proteste von Angehörigen blieben unbeachtet bzw. wurden unter Androhung von Gewalt unterdrückt. Es kam daraufhin zu einer polizeilichen Untersuchung. Vermutlich musste Dr. Pöch deshalb seine von der Akademie der Wissenschaften finanzierte Forschungsexpedition vorzeitig abbrechen. Dennoch wurden von seinem Team ca.  150 körperliche Überreste von Ureinwohnern Südafrikas der Rassenforschung in Wien überbracht. Die Verschiffung der Leichen nach Österreich-Ungarn erfolgte unter Umgehung der damaligen südafrikanischen Gesetzeslage. Ab 1985 gab es Verhandlungen zwischen den Ländern, die schlussendlich zur Repatriierung führten. Im April 2012 wurden die beiden Leichen von der österreichischen Regierung mit einer offiziellen Entschuldigung einer hochrangigen südafrikanischen Delegation übergeben. Im August desselben Jahres wurden sie im Zuge eines Staatsbegräbnisses in einem Ehrengrab in Kuruman wieder bestattet. 

 

Schon die Jahre zuvor stand Österreich wg. geraubter Leichen, Mumien und Kulturschätzen unter politischem Druck durch Historiker. 2009 und 2011 wurden Überreste von australischen Aborigines, die Pöch ebenfalls unter dubiosen Umständen gesammelt hatte, an Canberra restituiert. Aber auch andere "Forschungsobjekte" von diversen österreichischen Forschern fanden endlich ihre letzte Ruhe. 1985 erhielt Neuseeland von Andreas Reischek geraubte Maori-Kunstschätze und Mumien zurück. 1999 betraf die Wiedergutmachung Schädel polnischer Kriegsgefangener. 2002 wurden Opfer vom Spiegelgrund, die Nazi-Forschungen dienten, feierlich in Wien bestattet. Ungefähr zu der Zeit wurde auch der angebliche Schädel des osmanischen Großwesirs Kara Mustafa begraben. 2012 fanden schließlich auch mehr als 60 Opfer der NS-Medizin auf dem Zentralfriedhof ihre letzte Ruhestätte. Auch die Schädelsammlung Josef Hyrtls (1810-1894) in der »Pathologisch-anatomischen Sammlung" im "Narrenturm" hat eine unrühmliche Geschichte. Mehr als ein Viertel seiner Privatsammlung stammt aus Gefängnissen, von Selbstmördern oder Gehängten.  

 

Dr. Hella Pöch (1893 - 1976)

Dr. Helene Pöch

Dr. Pöchs Ehefrau, Helene Schürer von Waldheim, wurde am 25.05.1893 in Wildalpen/Stmk in eine Arztfamilie geboren. Ihr Vater, ein niedergelassener Arzt in Wien, war ein Vertreter der  Alternativen Medizin und entschiedener Gegner der Schulmedizin. In der Krebstherapie vertrat er das Konzept der „aktiven Immunisierung“. Er gehörte auch zum Ausschuss der Anthropologischen Gesellschaft in Wien. Im Elternhaus dürfte somit das Interesse Helenes für die Anthropologie geweckt worden sein. Noch vor ihrem Studium publizierte sie kleinere Arbeiten. Sie inskribierte die Fächer Anthropologie und Ethnographie an der Uni Wien bei Dr. Rudolf Pöch. Ihr Interesse verlagerte sich im Laufe des Studiums auf "Rassenkunde" und "Erbbiologie". 1919 promovierte sie mit einer einschlägigen Arbeit über wolhynische Flüchtlingsfamilien. Kurz darauf heiratete sie Ihren Dozenten Dr. Pöch und wurde seine Assistentin. Neben rassenkundlichen Forschungen beteiligte sie sich auch an Ausgrabungen. 

 

Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes 1921 führte sie gemeinsam mit Josef Weninger ehrenamtlich den Lehrbetrieb bis 1924 weiter.  In ihrer Dissertation verarbeitete sie ihre Erhebungen aus dem Kriegsgefangenenlager Grödig. Dort hatte sie 1917 an 700 ukrainischen, wolhynischen Frauen und Kindern Vermessungen vorgenommen. Dabei forschte sie nach der Erblichkeit bestimmter Gesichtsmerkmale. In der Folge brachte sie die "Weichteile des Gesichts" sowie die Papillarlinien der Hand in ein rassenkundliches Schema. Als sie 1924 zum zweiten Mal heiratete, dürfte sie bereits eine überzeugte Nationalsozialistin gewesen sein. Ihr zweiter Ehemann, Georg Pöch (geb. 1895),  war der Neffe ihres ersten Ehemannes und Arzt im Gesundheitsamt in Salzburg. Dort organisierte sie 1926 eine gemeinsame Tagung der Anthropologischen Gesellschaft Wien und der Deutschen Gesellschaft für physische Anthropologie. Mehr und mehr folgte sie der rassistischen Vererbungslehre und bezeichnete Wolhynierinnen als asiatische, "minderwertige Rasse". 1929 vermaß sie im Pongau hunderte Einwohner, um den "nordischen" Charakter ihrer "Rasse" nachzuweisen. 1930 ging sie mit ihrem Mann nach Eisenstadt, wo er die Müttergesundheitsfürsorge leitete und sie "Rassenkunde der Juden" betrieb. Von 1934 bis zum Anschluss Österreichs 1938 reiste sie öfters nach Deutschland, um die Kontakte zum Rassenpolitischen Amt der NSDAP zu pflegen. 1938 wurde sie zur "Rassengutachterin" ernannt, die sehr restriktiv urteilte. 1940 sammelte sie im Auftrag des Reichsgesundheitsamtes in Lodz Handabdrücke von Juden. In Tübingen analysierte sie Material für Hans Fleischhacker (Anthropologe und SS-Obersturmführer). Ab 1940 leitete Georg Pöch u.a. das Dezernat für „Erb- und Rassenpflege“ in Salzburg. Er war am Erbgesundheitsgericht Salzburg tätig und zeichnete dort für Maßnahmen zur Vorbereitung der Euthanasie mitverantwortlich. Helene und Georg Pöch schlugen eine Untersuchung an sephardischen Juden im niederländischen KZ Ommen vor, die zwar 1941 genehmigt wurde, aber wegen des Abtransports nicht mehr durchgeführt werden konnte.

 

Nach dem Krieg entzog sich das Paar durch eine langjährige Flucht der österreichischen Justiz. 1954 gelangten sie nach Sumbawa Besar in Indonesien, wo Helene ihre Forschungen fortsetzte. Georg betrieb dort eine Klinik. Er soll zum Islam übergetreten sein und 1965 eine zweite Frau aus Indonesien geheiratet haben. Er erlag 1970 einem Herzinfarkt. Helene kehrte nach seinem Tod nach Wien zurück, wo sie 1976 starb und im Ehrengrab ihres ersten Ehemanns Dr. Rudolf Pöch am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt wurde. In Indonesien gab es unbelegte Spekulationen, dass es sich bei Dr. Georg Pöch um den entkommenen Hitler handeln könnte. 

 

das Ehrengrab

In Anerkennung seiner Haltung anlässlich der Pestgefahr in Wien 1898 widmete die Gemeinde Wien Dr. Rudolf Pöch ein Ehrengrab.  Zu finden ist es in der Gruppe 0/Reihe 1/Nr. 89 am Wiener Zentralfriedhof.  Dies ist von Tor 2  und 3 aus schnell zu erreichen. 1976 wurde seine Frau Dr. Helene Pöch, die nach seinem Tod mit seinem Neffen verheiratet war, ebenfalls hier bestattet.

 

1933 ließ man ihm zu Ehren vom Bildhauer Richard Kauffungen ein Denkmal anfertigen, das im Arkadenhof der Universität Wien aufgestellt wurde.  Heute würde man ihm wohl keine solchen Ehrungen mehr zuteil werden lassen. 

1931 wurde im14. Bezirk in Wien die Rudolf-Pöch-Gasse nach ihm benannt. Eine Historiker-Kommission (2011-2013) hat den Straßennamen als" Fall mit Diskussionsbedarf" eingeordnet.


Bildquellen:

  • Portrait Dr. Rudolf Pöch: Wikipedia
  • Dr. Pöchl in Papua: Weltmuseum Wien
  • Portrait Dr. Helene Pöch: Manuskript NHM Wien
  • Ehrengrab: Karin Kiradi
  • Gedenktafel Dr. Rudolf Pöch im Arkadenhof der Uni Wien: Karin Kiradi
  • Staatsbegräbnis Südafrika: Uni Wien

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