· 

Geschichte des Zentralfriedhofs

Kirche zum Hl. Borromäus

Bevor ich den einen oder anderen "Bewohner" des Zentralfriedhofes vorstelle, möchte ich erzählen wie es überhaupt dazu kam, dass der Zentralfriedhof errichtet wurde und warum er gerade hier errichtet wurde.

 

 Freythöfe rund um Kirchen

Über Jahrhunderte war es üblich, die Toten rund um Kirchen zu begraben. Das waren sogenannte Freythöfe, also eingefriedete Höfe. Das Wort Friedhof hat sich daraus abgeleitet. Es waren aber keinesfalls ruhige und besinnliche Orte, vielmehr pulsierte hier das tägliche Leben. Waren aller Art wurden auf Bretterbuden angeboten, Suppen- und Garküchen versorgten die Bevölkerung und vor allem die Armen mit Speisen. Bettler und Versehrte baten um Almosen und Prostituierte boten ihre Dienste an. 

Aufgrund des beschränkten Platzes wurden die Toten nach einigen Jahren wieder exhumiert und ihre Überreste im Beinhaus, dem Karner, gesammelt. Adelige und reiche Bürger ließen sich gegen entsprechende Gebühr unter dem Kirchenpflaster oder in Grüften von Kirchen und Klöstern bestatten. Damit blieben sie von der Exhumierung verschont. 

 

Lebendig begraben

Die Leichen wurden damals sofort nach Eintreten des Todes begraben. Da kam es auch schon mal vor, dass ein scheinbar Toter erst beim oder auch erst nach dem Begräbnis wieder zu sich kam.  Viele Menschen hatten daher Angst davor lebendig begraben zu werden. So  auch Johann Nestroy. Er meinte, dass die medizinische Wissenschaft auf einem Stand sei, dass sie selbst wenn sie einen umgebracht hatte, nicht gewiss sagen könne ob derjenige auch wirklich tot ist. Nestroy verfügte daher testamentarisch, dass im Falles seines Todes ein Herzstich durchgeführt werden soll. Eine Methode die weit verbreitet war. Dabei wurde ein dolchähnliches Messer direkt ins Herz gestoßen. Das Messer verblieb meist in der Leiche und wurde mitbestattet. Eine andere Vorkehrung war der Rettungswecker. Hier wurden  die Extremitäten des Toten mit einer Schnur umbunden. Dieser war durch das Erdreich mit einer Glocke verbunden. Der Totengräber bzw. Friedhofswärter konnte dann beim Anschlagen der Glocke sofort reagieren und den Scheintoten aus seinem Grab retten.  Ob und wie oft das tatsächlich funktioniert hat, konnte ich leider nicht eruieren. Jedenfalls soll es unzählige Fehlalarme gegeben haben, die auf postmortale Muskelbewegungen bzw. Nachlassen der Totenstarre etc. zurückzuführen waren.  Kaiserin Maria Theresia beendete diese Ängste indem sie 1756 verordnete, dass Verstorbene frühestens nach 48 Stunden begraben werden dürfen. Ausgenommen waren Pest- und Seuchentote. 

 

Josephinische Begräbnisordnung 

Das Begräbniswesen der damaligen Zeit ging aber auch mit den schlimmsten hygienischen Missständen einher. Immer wieder kam es zu Epidemien. Die entstehenden Verwesungsgifte waren oft nicht nur riechbar, sondern verseuchten desöfteren auch das Grundwasser und damit die Hausbrunnen. Die Folgen waren Choleraepidemien. In der damaligen Zeit wurden die Bestattungen des Adels und der reichen Bürger immer prunkvoller. Auch das gemeine Volk wollte eine "schöne Leich". Das führe dazu, dass viele sich für ein schönes Begräbnis hoch verschuldeten. Aus der Zeit stammt auch der Begriff des Pompfünebrers, als Name für den Bestatter. Am Kaiserhof wurde französisch gesprochen und "pomp funebre" war das "prunkvolle Begräbnis". Kaiser Josef II wollte mit all diesem Prunk und auch mit den Missständen aufräumen und erließ 1784 die Josephinische Verordnung, wonach alle Freythöfe innerhalb der Stadtmauern aufgelassen wurden und 5 Friedhöfe in den Vororten errichtet wurden. Das waren der St.Marxer, der Schmelzer, der Matzleinsdorfer und der Hundsthurmer Friedhof. Die Bestattungen sollten möglichst einfach und kostengünstig erfolgen. So wurden keine Einzelgräber mehr verwendet, die Toten wurden in Schachtgräbern anonym bestattet. Außerdem kam der josephinische Gemeindesarg zum Einsatz. Dazu war der Tote in ein Tuch gehüllt in einem Sarg, dessen Boden sich über der Grabstelle aufklappen ließ. Somit konnte er für den nächsten Toten wiederverwendet werden. Einige dieser Verordnungen brachten die Wr. Volksseele derart zum Kochen, dass der Kaiser sie schon nach einem Jahr wieder zurücknehmen musste. 

 

Zentralfriedhof weit ausserhalb der Stadt

Allerdings wuchs die Stadt rapide an und schon bald waren die 5 Friedhöfe wieder mitten in der Stadt und auch viel zu klein geworden. Deshalb plante man einen Friedhof möglichst weit außerhalb der Stadt. Es gab mehrere Grundstücke im Angebot, wie z.B. in Rannersdorf, allerdings entschied man sich für den Acker in  Kaiserebersdorf, da die Bodenbeschaffenheit - Lößboden mit einem hohen Sandanteil, besonders gut für Beerdigungen geeignet ist. Die Bevölkerung unterstellte dem damaligen Wr. Bürgermeister Dr. Cajetan Felder allerdings, dass er den Standort nur deshalb forciere, weil sein minderjähriges Mündel, Anton Dreher, der Besitzer der Schwechater Brauerei war und er damit den Absatz steigern wolle. Das Schwechater Bier wurde im Volksmund dann oft auch als Friedhofsbier bezeichnet.  

 

Die Frankfurter Architekten Jonyas Mylius und Alfred Bluntschli wurden mit dem Konzept beauftragt und zu Allerheiligen 1874 wurde der Wiener Zentralfriedhof eröffnet. Gegen den Friedhof, der ursprünglich konfessionslos sein sollte, wurde eine große Demonstration angekündigt. Um dies zu verhindern wurde einen Tag vor der Eröffnung der Friedhof noch schnell in aller Stille eingeweiht und als interkonfessioneller Friedhof eröffnet. Gleichzeitig mit der Eröffnung nahm auch eine Pferde-Tramway ihren Betrieb nach Simmering auf. 

 

Am Eröffnungstag wurden 13 Leichen begraben. 12 fanden in einem Schachtgrab ihre letzte Ruhe. Nur der Privatier Jakob Zelzer wurde in ein eigenes Grab gebettet und war damit die erste schöne Leich am Wr. Zentralfriedhof. Sein Grab existiert heute noch in der Gruppe 0 rechts vom Haupteingang Tor 2, direkt an der Friedhofsmauer.

 

Tote Promis als Zugpferde

Die Wiener nahmen den Friedhof allerdings nicht an. Schon der Name Zentralfriedhof klang wie ein Hohn, war er doch alles andere als zentral gelegen. Ein Besuch bedeutete einen Tagesausflug. Zudem war der Acker brach und trostlos ohne jegliche Vegetation und schmucklos. Lieber ließen sich die Wiener in einem der Vororte bestatten. Da machte die Stadtverwaltung 1881 einen klugen Schachzug. Sie ließen viele Berühmtheiten aus den aufgelassenen Friedhöfen exhumieren und in Ehrengräbern der Stadt Wien am Zentralfriedhof neuerlich bestatten. Das gefiel den Wienern wiederum und der Plan ging bald auf. Alle wollten nun dort begraben werden wo die ganze Prominenz liegt.  

 

Leichenrohrpost

Nach der Aufbahrung der Toten, entweder zu Hause oder in einer Kirche in der Stadt, wurden die Leichen zuerst mit Pferdekutschen zum Friedhof gebracht. Das war besonders bei Schlechtwetter bei den damaligen unbefestigten Straßen sehr beschwerlich und die Anrainer litten unter dem Fuhrwerkaufkommen. Die Stadt plante daher eine neuartige Beförderung für die Toten - eine Leichenrohrpost. Am Karlsplatz sollten 3 Aufbahrungshallen (jeweils eine für die Katholiken, Protestanten und Juden) gebaut werden. In der der Mitte sollte der Tote aufgebahrt werden und am Ende der Zeremonie der Sarg hydraulisch im Boden versenkt werden. Im Keller  sollten max. 4 nummerierte Särge in einer Druckleitung, die auf Schienen gebettet wäre, mittels Unterdruck auf den Zentralfriedhof befördert werden. Der futuristische Plan scheiterte an der Finanzierung. Stattdessen wurde 1918 die Straßenbahn elektrifiziert und auch eine eigene Bestattungsstraßenbahn auf der Linie 71 eingerichtet, mit der vorwiegend bei Nacht die Toten auf den Friedhof befördert wurden. Daher sagt man auch heute noch, wenn jemand stirbt: "Er ist mit dem 71er gefahren". 

 

Eingangsportal Zentralfriedhof 2. Tor
Portal 2. Tor

Jugendstil hält Einzug 

Der Friedhof wurde nicht nur bepflanzt, sondern 1903 schrieb die Gemeinde einen Wettbewerb für die bauliche Ausgestaltung aus. Max Hegele ging als Sieger hervor und nach seinen Plänen wurde 1907 das Hauptportal und die beiden Aufbahrungshallen im Jugendstil errichtet. 1911 war auch die Friedhofskirche, die dem Hl. Karl Borromäus geweiht wurde, fertig. In der Unterkirche wurde der Wiener Bürgermeister Dr. Karl Lueger, unter dessen Amtszeit die Kirche gebaut wurde, in einem Mausoleum bestattet. Die Kirche wurde daraufhin auch Dr. Karl Lueger Gedächtniskirche genannt. Im Jahr 2000 wurde die Kirche generalsaniert und aufgrund der problematischen Gesinnung Luegers in Karl Borromäus Kirche umbenannt. Die Ähnlichkeiten mit der Otto Wagner auf den Steinhofgründen ist unverkennbar. Das kommt wohl daher, dass Otto Wagner in der Jury zur Ausschreibung saß. Von den Plänen Max Hegeles dürfte sich Otto Wagner einiges abgeschaut haben.

 

Leben trifft Tod

Heute ist der Zentralfriedhof nicht nur Begräbnisstätte der Wiener, sondern auch Anziehungspunkt für viele Touristen, aber auch Wiener, die nicht nur herkommen um ihre Idole oder Verstorbenen zu besuchen.  Der Friedhof bietet auch als Naherholungsgebiet Erholung für Körper, Geist und Seele. Egal ob man laufend oder radelnd unterwegs ist, im Park der Ruhe und Kraft frische Energie tankt oder einfach nur die Natur und seine Bewohner beobachtet, der Friedhof und seine Toten sind aus dem Abseits herausgetreten und wieder mehr ein Teil des Lebens geworden. 

 

Der Wiener Zentralfriedhof ist übrigens mit 2.5 km² flächenmäßig der zweitgrößte Friedhof Europas. Nur Hamburg-Ohlsdorf ist größer. Mit ca. 3 Millionen Toten beherbergt der Zentralfriedhof allerdings mehr "Einwohner". Anlässlich des 100jährigen Bestehens setzte Wolfgang Ambros dem Zentralfriedhof ein musikalisches Denkmal mit dem Lied "Es lebe der Zentralfriedhof".  Manchmal kommt mir aber beim Gang durch den Friedhof auch der Refrain eines Liedes von STS in den Sinn "Und irgendwann bleib i dann dort, lass alles lieg'n und steh'n, geh von daham für immer fort. Darauf gib i dir mei Wort, wieviel Jahr' a noch vergeh'n, irgendwann bleib i dann dort".


Bildquellen: © Karin Kiradi

Kommentar schreiben

Kommentare: 8
  • #1

    Elisabeth Horvath (Freitag, 09 April 2021 12:12)

    Liebe Karin,
    toller Blog.Freu mich über mehr Information.LG

  • #2

    Gabi Steindl (Freitag, 09 April 2021 12:30)

    Gratuliere zum Start deines Blogs. Freu mich schon auf deine nächsten Beiträge. �

  • #3

    Anneliese (Freitag, 09 April 2021 12:37)

    Liebe Karin, ich gratuliere Dir dazu. Sehr informativ ,freue mich auf den nächsten Beitrag

  • #4

    Ingrid (Freitag, 09 April 2021 20:25)

    Sehr interessant und informativ macht neugierig auf einen Besuch des zentralfriedhofs

  • #5

    Martine (Samstag, 10 April 2021 11:20)

    Liebe Karin, ich finde es super, dass du dieses interessante Wissen weitergibst.
    Mir hat ja schon unser Spaziergang sehr gut gefallen. Und ich hoffe auf eine Wiederholung im bunten Herbst. LG

  • #6

    Andrea (Sonntag, 18 April 2021 19:38)

    Sehr interessant und wissenswert, gut recherchiert und anschaulich beschrieben! Gratuliere dir zu der gelungenen Seite!

  • #7

    Claudia (Freitag, 16 September 2022 12:49)

    Also ich hab ja selbst schon viel gewusst aber Dank des Blogs noch einiges dazulernen können. Wirklich sehr interessant geschrieben.

  • #8

    Stefan Polzer (Montag, 25 Dezember 2023 22:19)

    Beginne es eben zu lesen. Finde es toll, dass man sich eine solche Arbeit macht! Das Thema der bekannten begrabenen Familien und der Kunstgeschichte dazu gibt auf jeden Fall viel Stoff her.
    Interessant ist ua. auch das Grab in Bezug auf "Sonnblick"-Unglück; siehe:
    http://www.viennatouristguide.at/Friedhoefe/Zentralfriedhof/Opfergraeber/o_08_1928_sonnblick.htm
    https://www.sn.at/wiki/Lawinenungl%C3%BCck_am_Hohen_Sonnblick_1928