· 

Dr. Emil Steinbach (1846-1907)

Dr. Emil Steinbach war Jurist und Politiker. Von 1891 bis 1893 war er Finanzminister. Auf ihn gehen einige Reformen zurück, die bis heute ihre Spuren hinterlassen haben.

 

Herkunftsfamilie und Jugend

Wilhelm Anton Steinbach (1807-1877) wurde am 20. März 1806 in Arad (gehörte damals zu Ungarn, heute Rumänien) in eine jüdische Familie geboren. Seine Eltern waren Josef Steinbach und Rosalia Deutsch. Irgendwann kam Wilhelm nach Wien. Er wohnte dort im 7. Bezirk in der Spittelberggasse 17. Wilhelm war Goldwarenfabrikant. Seine Werkstätte befand sich am Spittelberg Nr. 128. Er fertigte nicht nur Schmuckstücke an, sondern machte sich auch über die Sorgen und Probleme seiner Kunden im Zusammenhang mit den Pretiosen Gedanken. Er suchte nach Lösungen und das Ergebnis waren einige Erfindungen. 1942 erhielt er z.B. ein Patent für eine einfache Vorrichtung, die das Verlieren von Bracelets (Armbändern) verhinderte. Wer weiß wie vielen Frauen durch diese Innovation Kummer und Leid erspart blieb, weil sie ihren Schmuck nicht verloren haben. Aufgrund wirtschaftlicher Probleme, die vermutlich mit der Erkrankung ihres Sohnes Wilhelm zusammenhingen, musste Wilhelm sein Geschäft schließlich schließen. Er war dann bei der Verkehrsbank als Pretiosen-Schätzmeister angestellt.  

 

Am 18. Mai 1845 heiratete Wilhelm die Christin Emilie Auguste Ofner (1813-1881). Die Braut stammte aus Brünn. Seiner Frau zuliebe trat Wilhelm anlässlich der Hochzeit auch vom Judentum zum Christentum über. Die Hochzeitszeremonie fand in der Pfarre St. Johann Nepomuk im 2. Bezirk statt.  

Trauungsregister Wilhelm und Emilie Steinbach 1845

Ca. 1 Jahr später stellte sich im Hause Steinbach das erste Mal Nachwuchs ein. Emil erblickte am 11. Juni 1846 das Licht der Welt. Im Laufe der Jahre kamen dann noch 2 Kinder dazu. Die Familie wohnte dann in der Neustiftgasse 5. 

  • Emil (1846-1907)
  • Wilhelm (1848-1864)
  • Robert (1855-1917) ⚭ Josephine Charlotte Kanitz 

Sohn Wilhelm war der Zweitgeborene und kam am 13. Jänner 1848 zur Welt. Er besuchte die HAK. Doch der Schüler erkrankte schwer. Deshalb war wohl auch sein Vater ab September 1862 immer wieder mit ihm in Gmunden und in Ischl zur Kur (Das Sommerdomizil von Kaiser Franz Joseph wurde erst 1906 zu „Bad Ischl“).  Der Zustand von Wilhelm Jun. besserte sich aber nicht. Schließlich trat das Schlimmste ein. Er starb am 26. Mai 1864 im Alter von 16 Jahren an Nierensteinen. Beerdigt wurde er am Friedhof St. Marx

Sterberegister Wilhelm Steinbach Jun. 13.01.1848

Die Familie übersiedelte dann in die Schottenhofgasse 3.  

 

Der älteste Sohn Emil wurde am 11. Juni 1846 geboren. Er ging vorerst in keine Schule, sondern wurde zu Hause von einem Hauslehrer unterrichtet. Ab 1856 besuchte er die Oberrealschule am Schottenfeld. 1863 maturierte er als Externist am Akademischen Gymnasium mit Auszeichnung. Emil war sehr religiös und wollte eigentlich Priester werden. Doch seine Eltern hielten ihn davon ab. Er studierte dann an der Universität Wien Rechtswissenschaften. Einer seiner Studienkollegen war Karl Lueger. Wegen der knappen finanziellen Mittel seiner Familie arbeitete Emil schon während seiner Ausbildung als Privatlehrer und Journalist, um sich das Studium zu finanzieren. Er schloss das Studium 1869 mit dem Doktortitel (Dr. Jur.) ab. 

 

Emil der Politiker 

Dr. Emil Steinbach

Als Rechtsanwaltsanwärter arbeitete Emil von 1867-1874 gemeinsam mit Karl Lueger in der Hof- und Gerichtsadvokatenkanzlei des Dr. Obermayer. Die beiden verband eine gegenseitige Wertschätzung, da sie sich bei gesellschaftlichen Fragen und der Notwendigkeit von sozialen Reformen einig waren. Allerdings trennte sie die moralische Einstellung, welche Mittel in der Politik erlaubt wären um sein Ziel zu erreichen. Dies machte sie sogar zu Gegnern. Emil Steinbach sagte jedoch schon in den 1880er Jahren voraus, dass Lueger einmal Bürgermeister von Wien oder Minister des Inneren werden würde.  Emil Steinbach drängte sich im Gegensatz zu Lueger nie in den Vordergrund bzw. in die Öffentlichkeit, sondern stellte immer die Sache und den Inhalt in den Mittelpunkt. Nach bestandener Advokatenprüfung unterrichtete er von 1874 bis 1885 Recht und Volkswirtschaftslehre an der Wiener Handelsakademie

 

Anekdote: Emil Steinbach war einer der beliebtesten Lehrer an der HAK. Als er bereits Hofrat im Justizministerium war, fragte ihn einmal ein Schüler: „Das kleine Lotto ist doch eine anerkannt unmoralische Institution. Warum wird sie von der Regierung nicht aufgehoben?“. Emil kratzte sich hinter dem Ohr und antwortete mit einem satirischen Lächeln: „Kinder, das ist so eine kitzlige Sache! Wenn man dem Finanzminister sagen würde, wo der die Millionen, die das kleine Lotto einbringt, sonst hernehmen könnte, würde er das Lotto sehr gerne aufheben. Übrigens zu eurer Beruhigung: Sollte ich Finanzminister werden, werde ich das Lotto aufheben!“ Einige Jahre später wurde er tatsächlich Finanzminister, allerdings fand seine Absicht das Lotto einzustellen, keine Unterstützer, weshalb er sein Versprechen nicht halten konnte. 

 

Schon nach 2 Jahren war Emil kurz davor, eine eigene Advokatenkanzlei zu eröffnen. Doch durch seine veröffentlichten Fachschriften machte er den damaligen Justizminister DDr. Julius Glaser (1831-1885) auf sich aufmerksam. Dieser berief ihn zu einer Probearbeit ins Ministerium und ernannte ihn 1874 zum Ministerial-Vize-Sekretär des Justizministeriums. 1877 erhob ihn der Kaiser zum Ministerial-Sekretär des Justizministeriums.  

 

Zu Weihnachten desselben Jahres starb Emils Vater Wilhelm Steinbach am 24.12.1877 im Alter von 71 Jahren an Rippenfellentzündung. Er wurde am Zentralfriedhof begraben. Wo genau, konnte ich nicht feststellen. 

Sterberegister Wilhelm Steinbach 24.12.1877

1879 erhielt Emil den Titel "Sectionsrath" vom Kaiser verliehen. Interessant ist, dass Dr. Emil Steinbach während seiner gesamten Schaffenszeit keiner Fraktion beitrat. Dies obwohl er mehrfach gebeten wurde. Er stand aber den „Sozialaristokraten“ unter der Leitung von Prinz Aloys von und zu Liechtenstein (1846–1920) nahe. Er war auch ein bekennender Monarchist. Außerdem behielt er sich seine große Frömmigkeit. Er besuchte jeden Sonntag die Kirche und dies auch wenn er sich auf Dienstreisen oder im Urlaub befand.  Emils erstes Projekt im Ministerium war die Vorbereitung einer Anfechtungsordnung. 1877 wurde Emil zum Ministerialsekretär befördert. 

 

Am 14. Jänner 1881 starb seine Mutter Emilie Steinbach 2 Tage vor ihrem 68. Geburtstag. Emil hatte die Witwe immer finanziell unterstützt. Als Todesursache von Emilie wurde Altersschwäche eingetragen. Ihre Leiche wurde am Zentralfriedhof (vermutlich bei ihrem Ehemann) bestattet. 

Sterberegister Emilie Steinbach 14.01.1881

1882 wurde Emil mit dem Compthurkreuz des Serbischen Takowa-Ordens ausgezeichnet. Bei Auszeichnungen mit fremden Orden bedurfte es der Zustimmung des Kaisers, dass die betreffende Person den Orden annehmen und auch tragen durfte. 1884 wurde er zum Ministerialrat ernannt. 1886 erhielt Emil das Ritterkreuz des Leopold-Ordens. 1887 stieg er zum Sektionschef auf. 

 

Obwohl Emil Steinbach heute kaum noch bekannt ist, gehörte er zu jenen Politikern, die nicht nur das damalige politische Leben maßgebend beeinflusst haben, sondern auch bis heute dauerhafte Spuren hinterlassen haben. Nach der Machtübernahme durch den konservativen Graf Eduard Taaffe (1833-1895) wurde Emil mit der Erarbeitung einer Vorlage für eine Sozialreform betraut. In Emils Amtszeit wurde 1883 die bis dahin gültige liberale Gewerbeordnung abgeändert. Dabei wurden die „kleinen Meister“ begünstigt und ein Gewerbeinspektorat etabliert. 1885 kam es mit der Einführung des 11-Stunden-Arbeits-Tages und dem Verbot von Kinderarbeit, sowie dem Verbot der Nachtarbeit für Frauen zu enormen Verbesserungen für die Arbeiter. 1886 setze er eine Arbeiter-Unfallversicherung und 1888 die Krankenversicherung durch. Weiters war ihm die Schaffung eines exekutionsfreien Existenzminimums zu verdanken. Auch das Gesetz über die Regelung der Sonn- und Feiertagsruhe geht auf ihn zurück.  

 

In zahlreichen Vorträgen versuchte er die Bevölkerung für seine Ideen zu gewinnen. So hielt er z.B. am 5. November 1885 im Saal des Wiener Architektenvereins eine Brandrede „Über die Pflichten des Besitzes“. Dabei forderte er das Bürgertum auf, die Sozialreformen zu unterstützen. In seinen Ausführungen zitierte er nicht nur Philosophen wie Euripides, Aristoteles oder Plato, sondern griff auch Bibelstellen auf. So meinte er frei nach Aristoles: „Ein hervorragend guter Mensch kann nie hervorragend reich sein". Aus dem Evangelium hob er folgende die Worte hervor: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher ins Reich Gottes eingeht"  Er vertrat die Meinung, dass man mit gewöhnlicher Arbeit kein großes Vermögen machen könne. Dieses würde man nur durch praktische Ausbeutung einer Erfindung, die möglicherweise ein anderer gemacht hatte, anhäufen können. Denselben Effekt würden gelungene Spekulationen bringen. Auf diese Dinge seien die großen wirtschaftlichen Erfolge von Großindustriellen und Kaufleuten zurückzuführen. Daher wären in erster Linie auch diese Tätigkeitsbereiche aufgerufen, ihren Individualismus nicht zu weit zu treiben. Sie sollten sich nicht nur ihrer rechtlichen, sondern auch sittlichen Pflicht zur Unterstützung der Gesellschaft bewusst sein. Von 1885 - 1890 übernahm Emil auch Lehraufgaben an der Orientalischen Akademie. Außerdem war er Mitglied der rechtshistorischen sowie der juridischen Staatsprüfungskommission.    

Im Herbst 1889 erkrankte Emil schwer. Er verschleppte einige Zeit ein Unwohlsein, bis sich dieses zur Rippenfellentzündung entwickelte. Die Krankheit nahm einen schwierigen Verlauf und die Ärzte beschrieben Emils Zustand als äußerst kritisch. Erst der hinzugezogene bekannte Arzt Dr. Hermann Nothnagel machte Hoffnung, den todkranken Patienten retten zu können. Allerdings blieb auch nach überstandener Krankheit eine chronische Entzündung der Lunge mit enormen Atembeschwerden zurück. Der Patient verbrachte dann bis Ende des Jahres mehrere Wochen zur Erholung in Meran. Im Jänner 1890 nahm er in gewohnter Weise seine Arbeit wieder auf. 

Dr. Emil Steinbach

Aufgrund gravierender Auffassungsunterschiede zwischen dem damaligen Finanzminister Dr. Julian von Dunajewski (1821-1907) und dem Regierungschef Graf Taaffe, sowie vorgezogener Neuwahlen, wurde Dunajewski 1891, auch angesichts seines Alters, vom Kaiser aus der Regierung verabschiedet. An seine Stelle rückte Emil Steinbach. Emil bekleidete dann von 1891-1893 das Amt des Finanzministers. Dabei setzte er lang aufgeschobene Reformen um. Der damals gültige Gulden (1 Gulden = 100 Kreuzer) war eine Silberwährung. Fast alle anderen europäischen Staaten und die USA waren bereits zu einer Goldwährung übergegangen. Der andauernde Wertverlust des Silbers gegenüber dem Gold führte in Österreich zu ständigen Verlusten in der Wirtschaft. Emil Steinbach führte 1892 als Goldwährung die Krone (1 Krone = 100 Heller) ein. Beim Tausch erhielt man für 1 Gulden 2 Kronen. Obwohl die Währungsumstellung ursprünglich bei allen Teilen der Bevölkerung als notwendig empfunden wurde, kam es bei der Durchführung zu heftigem Widerstand. Einer der größten Gegner war Karl Lueger. Er polemisierte und wetterte gegen die Einführung der Goldwährung als "Judengeld".  

 

Als Minister begann Emil zu rauchen. Er erklärte dies so: „Was soll ich machen? „Man bekommt überall eine Zigarre. Man muss sie anstecken, ob man will oder nicht!" 

 

Noch 1891 wurde Emil Steinbach der Titel „Geheimer Rat“ verliehen. Dieser Titel war ein altehrwürdiger. Früher bedeutete „geheim“ so viel wie „vertraut“. Mit dem Titel wurden daher „Vertraute“ bzw. „ins Vertrauen gezogene Personen“ von ihrem Herrn ausgezeichnet. Zu Kaisers Zeiten war der Titel mit der Anrede „Exzellenz“ verbunden. 1892 erhielt Emil  den „Orden der Eisernen Krone erster Klasse“ verliehen. 

Dr. Emil Steinbach

1892 führte Emil eine Reform der Personalabgaben durch. Den Entwurf für das neue Einkommensteuergesetz erarbeitete der spätere Finanzminister Eugen Böhm von Bawerk (1851-1914). Ab 1898 galt dieses neue Gesetz. Dabei wurde nicht eine einzelne Person besteuert, sondern ein Haushalt, d.h. die Summe der Einkommen aller Angehörigen eines Haushalts bildete die Basis. Bei der Versteuerung kam eine progressive Staffelung der Steuersätze von 0,5 bis 5 % zur Anwendung. Das von Emil Steinbach umgesetzte Steuerregelwerk behielt bis 1938 seine Gültigkeit. 

 

1893 brachte Emil eine Wahlreform zur Abstimmung, die das allgemeine und gleiche Wahlrecht für alle Männer ab 24 Jahren gebracht hätte. Deutschliberale und Konservative blockierten und auch Lueger trug zum Scheitern der Reform bei. In weiterer Folge musste die Regierung Taaffe und damit auch Emil Steinbach zurücktreten.  Emil orientierte sich neu, wurde Höchstrichter und brachte es 1904 schließlich an die Spitze des Obersten Gerichtshofes

 

Am 17.09.1899 wurde er zum Mitglied des Herrenhauses auf Lebenszeit ernannt. Seit 1860 gab es in Österreich ein Zweikammern-Parlament. Zum einen das Abgeordnetenhaus, in dem gewählte Vertreter tätig waren. Das Gegengewicht dazu stellte das Herrenhaus dar. Es setzte sich aus berufenen Prinzen des Kaiserhauses, Erzbischöfen und Bischöfen mit fürstlichem Rang und Angehörigen des vermögenden Adels zusammen. Weiters wurden vom Kaiser österreichische Staatsbürger, die sich für den Staat oder die Kirche, die Wissenschaft oder die Kunst verdienst gemacht hatten, auf Lebenszeit in das Herrenhaus berufen.

 

Von 1899-1907 war Emil Steinbach Vizepräsident des Reichsgerichts und ab 1900 Obmann der Juristischen Gesellschaft in Wien. 1904 stieg er zum 1. Präsidenten des Obersten Gerichtshofs auf. Dieses Amt bekleidete er bis zu seinem Tod.

 

Emil Steinbach blieb zeit seines Lebens ledig. Darauf angesprochen, erklärte er, für eine Frau bzw. eine eigene Familie keine Zeit zu haben. Seine Gattin sei die Wissenschaft, mit der er sich sehr gut vertrage. Seine Familie war ihm allerdings sehr wichtig. Nach dem Tod der Mutter schloss er sich der Familie seines Bruders Robert an. Mit der Familie Taaffe blieb Emil in Freundschaft verbunden und nach dem Tod von Eduard Graf Taaffe im November 1895 wurde Emil von der Familie auch mit der Verlassenschaftsabwicklung betraut.  Weiters zählten u.a. der Burgtheaterdirektor Max Eugen Burckhard, der Schriftsteller Eduard Pötzl, der Journalist Jakob Herzog und der Gelehrte Hermann von Löhner zu seinem Freundeskreis.

 

Krankheit, Tod und letzte Ruhestätte

Dr. Emil Steinbach

Emils Lebensstil war wohl ein sehr ungesunder. Er arbeitete unermüdlich und bekam immer zu wenig Schlaf. Am 15. April 1903 erlitt er in seinem Büro einen leichten Schlaganfall. Bereits Jahre zuvor war bei Emil Steinbach Arterienverkalkung des Gehirns diagnostiziert worden. Die Ärzte führten die Krankheit auf die außerordentlichen geistigen Anstrengungen in seinem Beruf zurück. Ende Oktober 1906 folgte der nächste Schlaganfall. Während seiner Arbeit im Büro traten bei Emil plötzlich Unwohlsein, Sprachstörungen und linksseitige Lähmungserscheinungen auf. Er erholte sich auch diesmal wieder relativ rasch und begab sich Ende November zur Rekonvaleszenz in Victor Zuckerkandls Sanatorium Purkersdorf. Danach schien sich sein Gesundheitszustand stark gebessert zu haben. Allerdings stellte sein Umfeld wesentliche Wesensänderungen bei Emil fest. Er war z.B. bisher immer einsilbig gewesen, jetzt war er plötzlich sehr gesprächig und zeitweise sogar zänkisch. Er setzte auch etliche Handlungen, die seine Umwelt nicht verstand. Seinen Arzt fragte er immer wieder, ob er sich mit den Sterbesakramenten versehen lassen solle.

Totenmaske von Dr. Emil Steinbach

Anfang Mai 1907 erlitt Emil allerdings neuerlich einen Schlaganfall, dem auch noch weitere folgten. Er litt an partiellen Lähmungserscheinungen, Anfällen von Bewusstlosigkeit und Ohnmacht Er verlor auch sein Sprachvermögen. Sterbenskrank wurde Emil dann ins Sanatorium Purkersdorf eingeliefert. Nachdem er bereits mehr als 24 Stunden bewusstlos gewesen war, verstarb er schließlich am 26. Mai 1907 an den Folgen eines Gehirnschlags und einem Lungenödem. In seinen letzten Stunden wachte sein Bruder Robert an seinem Krankenbett. Gemäß seinem letzten Willen wurde an dem Toten ein Herzstich vorgenommen. Diese Form der Behandlung wählten damals viele Menschen, die sich davor fürchteten, scheintot begraben zu werden. Ein prominenter Schauspieler, der in seinem Testament ebenfalls die Anwendung des Herzstichs verordnete, war Johann Nestroy (1801-1862), der wie Emil Steinbach mit 61 Jahren starb. 

 

Emils Leichnam wurde nach Wien überführt, wo er in seiner Wohnung in der Bibliothek aufgebahrt wurde. Anschließend erfolgte die Einsegnung in der Schottenkirche, an der auch Kaiser Franz Joseph in Begleitung des Grafen Eduard von Paar und seines Flügeladjutanten teilnahm. Weiters waren zahlreiche Weggefährten und alles was Rang und Namen hatte, anwesend.  Bestattet wurde Emil am Zentralfriedhof wo das Leichenbegängnis Emils letztem Willen entsprechend, in aller Stille stattfand. Das Grab befand sich in der Gruppe 16B/8/4. 

Sterberegister Dr. Emil Steinbach 26.05.1907
Familiengruft der Familie Steinbach am Wr. Zentralfriedhof

Nach Emils Tod wurde am Zentralfriedhof eine neue Familiengruft (Gruppe 72A/G1/28) errichtet. Das Grab liegt ungefähr auf halbem Weg zwischen Tor 9 und Tor 11. Am 21. November 1907 wurden dann nebst Emil Steinbach auch die sterblichen Überreste von 7 weiteren Personen exhumiert und in dieser Gruft zur ewigen Ruhe gebettet. Es handelte sich dabei um Emils Eltern Wilhelm und Emilie Steinbach, die am Zentralfriedhof exhumiert wurden, seinen Bruder Wilhelm Steinbach Jun., der in St.Marx enterdigt wurde, sowie seine Großmutter mütterlicherseits (Christine Ofner), seine Tante Antonia Wasshuber (*1804) und sein Onkel Johann Wasshuber , sowie Robert Selig, dessen verwandtschaftliches Verhältnis ich nicht klären konnte.  

 

Emil hinterließ eine Vielzahl an Schriften, wie Regierungsvorlagen, Abhandlungen, Begründungen zu Gesetzen, Vorträge in schriftlicher Form, sowie Bücher zu Themen der Sozialreform. Emil Steinbach hatte immer ein bescheidenes Leben geführt. Er hatte nur einen kleinen Teil seines Einkommens für sich selbst und seine Bedürfnisse verwendet. Solange seine Mutter noch lebte, bekam sie den Rest. Nach ihrem Tod sparte Emil das Geld für seinen Neffen Robert auf. Dieser war auch Emils Erbe. 

 

Buchtipp: "Finanzminister Emil Steinbach - Der Sohn des Goldarbeiters" (Biographie) v. Wolfgang Fritz 

 

Familie von Bruder Robert Steinbach

 

Über die Kindheit des jüngeren Bruders von Emil, Robert Theodor Steinbach (1855-1917) ist mir leider nichts bekannt. Im August 1885 übersiedelte der 30jährige Musikalienhändler in den 1. Bezirk, in die Hohenstauffengasse 12. Heute befindet sich dort das Juridicum. Einen Monat später, am 20.9.1885  heiratete er Josephine Charlotte Kanitz (1863-1911). Die Trauung fand in der Pfarrkirche „Unsere Liebe Frau zu den Schotten“ statt. Interessant ist, dass Josephines Urgroßmutter Charlotte Hirschl (1776-1863) eine geborene Steinbach war. Ob eine verwandtschaftliche Beziehung zur Familie des Bräutigams bestand, ist offen. 

Trauungsregister Robert und Josephine Steinbach 1885

Josephine Kanitz trat vor ihrer Hochzeit zum Christentum über und ließ sich am 11. September 1885 in der Pfarre St. Leopold taufen. Damals erreichte man erst mit 24 Jahren die Volljährigkeit. Da Josephine erst 22 Jahre alt und demnach noch minderjährig war, musste ihr Vater eine schriftliche Einwilligung zur Eheschließung erteilen. Ihr Ehemann Robert Steinbach wurde dadurch zu ihrem Vormund. 

 

Grab der Familie Isidor Kanitz am jüdischen Teil des Wr. Zentralfriedhofs

Die Braut stammte aus einem jüdischen Haus. Ihre Eltern waren Isidor Kanitz (1840-1925) und seine Gattin Natalie Gentili (1839-1869). Isidor Kanitz war der Mitbegründer und Direktor des Wiener Giro- und Cassen-Vereines“. Eines seiner Ziele war die Einführung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. 

 

Josephines Schwester Jenny wurde am 12.10.1869 geboren. Ihre Mutter dürfte sich nach der Geburt nicht erholt haben. Sie starb am 4.11.1869 im Alter von 29 Jahren an einer Rippenfellentzündung. Josephine war damals erst 6 Jahre alt. Natalie Kanitz fand am irsaelitischen Friedhof Währing ihre letzte Ruhestätte (Gruppe 11/3). Josephines Vater heiratete ein Jahr später Auguste Jeiteles (1848-1928). Aus dieser Verbindung gingen dann noch weitere 4 Kinder hervor. Auguste Kanitz engagierte sich für das israelitische Blindeninstitut. Sie übertrug u.a. zahlreiche Werke in die Blindenschrift.

 

Josephines Halbschwester Johanna (1872-1876) verstarb schon im Alter von 4 Jahren. Alle anderen Familienmitglieder haben Josephine überlebt. Isidor Kanitz starb im 85. Lebensjahr am 10.7.1925 und seine 2. Ehefrau Auguste Kanitz folgte ihm am 19.4.1928 im 81. Lebensjahr . Ungewöhnlich für eine jüdische Familie war allerdings, dass sie sich kremieren ließen. Ihre Urnen wurden am jüdischen Teil des Zentralfriedhof bei Tor 1 (Gruppe 7/30/28) direkt an der Friedhofsmauer bestattet. 

 

Josephines Halbbruder Johannes Kanitz (1882-1938) nahm sich an seinem 56. Geburtstag, am 19. März 1938, mit einem Schuss in die Brust das Leben. Auch er wurde in der Familiengruft beigesetzt. Die beiden Halbschwestern Natalie (1871-1968) und Lisette (1874-1964) konnten sich vor dem Naziregime retten, indem sie in die USA flohen. 

 

 

Robert Steinbach wurde später Bankbeamter . Vermutlich spielte hier der Einfluss seines Schwiegervaters eine Rolle. Am 27.7.1886 stellte sich Nachwuchs ein. Robert Junior (1886-1952) blieb das einzige Kind von Robert und Josephine Steinbach. Er wurde aber auch der Liebling seines Onkels Emil.  

  

Robert Steinbach Sen. brachte es bis zum Prokuristen im Privatbankhauses „Ephrussi & Co.“ 1901 stürzte er beim Verlassen seines Büros in der Helfersdorferstraße 12 so unglücklich, dass er sich eine schwerere Verletzung zuzog. Die Zeitungen berichteten von einem Knöchelbruch bzw. einem Schenkelbruch.

 

1911 gab es in der Familie wieder einen Todesfall zu Weihnachten. Roberts Gattin, Josephine Steinbach, starb am 25. Dezember 1911 im Alter von nur 48 Jahren an Lungenentartung. Robert Steinbach Sen. folgte ihr am 9. Jänner 1917, kurz nach seinem 62. Geburtstag. Er starb in Sulz im Wienerwald. Als Todesursache wurde Tabes dorsalis und Rückenmarksdarre eingetragen. Dabei handelt es sich um ein Krankheitsbild, dass sich im letzten Stadium einer Syphiliserkrankung (Lues) entwickeln kann. Dabei kommt es zu einer Entmarkung der Hirnstränge, was zu lanzenstichartigen Schmerzen, Gang- und Sehstörungen bis hin zur Erblindung führen kann.  Josephine und Robert Steinbach wurden beide in der Familiengruft der Steinbachs am Zentralfriedhof (Gruppe 71A/G1/28) beigesetzt.  

Sterbeeintrag Robert Steinbach 09.01.1917

 

Ihr Sohn Robert Steinbach Jun. ergriff wie sein Vater den Beruf eines Bankbeamten. Außerdem betätigte er sich als Bibliothekar. Er heiratete Maria Seidl (1895-1986), mit der er 2 Kinder (Ilse und Christa) hatte. Christa Steinbach (1928-2023) heiratete später den Grafen Paul Michael Esterhazy (1915-1980). Sie spielte in der österr. katholischen Frauenbewegung eine gewichtige Rolle.  


Bildquellen:

  • Trauungseintrag Wilhelm Steinbach 1845: Matricula Online
  • Sterbeeintrag Wilhelm Steinbach Jun. 1864: Matricula Online
  • Emil Steinbach: Das interessante Blatt v. 12. Februar 1891, Seite 4: Anno ONB
  • Sterbeeintrag Wilhelm Steinbach Sen. 1877: Familysearch
  • Sterbeeintrag Emilie Steinbach 1881: Familysearch
  • Buch zu Vortag "Stellung d. VS im Privatrechte" Allgem. Österr. Gerichtszeitung, Heft 40 S. 4: Anno ONB
  • Vortragsunterlage über "Eigenthum an Briefen" 1870: ÖNB
  • Dr. Emil Steinbach, der neue Finanzminister: ÖNB
  • Emil Steinbach: Neue Illustr. Zeitung v. 1. März 1891, Seite 1: Anno ONB
  • Emil Steinbach: ÖNB
  • Totenmaske Dr. Emil Steinbach: ÖNB
  • Sterbeeintrag Dr. Emil Steinbach 1907: Matricula Online
  • Gruft Steinbach: © Karin Kiradi
  • Trauung Robert Steinbach 1885: Matricula Online
  • Grab Kanitz: © Karin Kiradi
  • Parte Johanna Steinbach: Neue Freie Presse v. 5. Februar 1876, Seite 12: Anno ONB
  • Parten Dr. Isidor Kanitz: Neue Freie Presse v. 12. Juli 1925, Seite 26: Anno ONB
  • Sterbeeintrag Robert Steinbach 1917: Matricula Online

Quellen:

  • Deutsche Biographie
  • Parlament Österreich
  • Wikipedia
  • Wien Geschichte Wiki
  • Austria-Forum
  • E-Book : "Traumzeit für Millionäre" v. Roman Sandgruber
  • Wiener Zeitung v. 14. März 1842, Seite 3: Anno ONB
  • Fremden-Blatt v. 31. Mai 1864, Seite 9: Anno ONB
  • Deutsche Zeitung  v. 5. Dezember 1874, Seite 16: Anno ONB
  • Wiener Zeitung  v. 21. November 1877, Seite 1: Anno ONB
  • Neue Freie Presse v. 21. November 1879, Seite 14: Anno ONB
  • Juristische Blätter 1881, Seite 436: Anno ONB
  • Wiener Allgemeine Zeitung v. 14. April 1882, Seite 4: Anno ONB
  • Wiener Allgemeine Zeitung v. 1. Juli 1882, Seite 14: Anno ONB
  • Die Presse v. 22. Juni 1886, Seite 15: Anno ONB
  • Die Presse v. 7. November 1887, Seite 1: Anno ONB
  • Neue Freie Presse v. 23. September 1889, Seite 1: Anno ONB
  • Neues Wiener Tagblatt v. 24. September 1889, Seite 4: Anno ONB
  • Die Presse v. 25. September 1889, Seite 15: Anno ONB
  • Neues Wiener Tagblatt v. 25. Dezember 1889, Seite 4: Anno ONB
  • Die Presse v. 4. Februar 1891, Seite 13: Anno ONB
  • Neue Freie Presse 4. Februar 1891, Seite 19: Anno ONB
  • Das Vaterland v. 5. Februar 1891, Seite 1: Anno ONB
  • Wiener Allgemeine Zeitung v. 29. Juli 1892, Seite 1: Anno ONB
  • Arbeiter Zeitung v. 22. September 1899, Seite 4: Anno ONB
  • Illustr. Wiener Extrablatt v. 28. Juni 1901, Seite 18: Anno ONB
  • Ostdeutsche Rundschau v. 29. Juni 1901, Seite 6: Anno ONB
  • Neues Wiener Journal v. 29. Juni 1901, Seite 8: Anno ONB 
  • Die Neuzeit v. 25. April 1902, Seite 6: Anno ONB
  • Neue Freie Presse v. 15. Februar 1903, Seite 7: Anno ONB
  • Grazer Volksblatt v. 16. April 1903, Seite 5: Anno ONB
  • Arbeiter Zeitung v. 31. Oktober 1906, Seite 5: Anno ONB
  • Wiener Salonblatt v. 18. November 1906, Seite 9: Anno ONB
  • Illustr. Wiener Extrablatt v. 13. Mai 1907, Seite 6: Anno ONB
  • Neues Wiener Journal v. 27. Mai 1907, Seite 1-2: Anno ONB
  • Wiener Allgemeine Zeitung v. 28. Mai 1907, Seite 5: Anno ONB
  • Illustr. Wiener Extrablatt  v. 28. Mai 1907, Seite 3: Anno ONB
  • Illustrirtes Wiener Extrablatt v. 28. Mai 1907, Seite 18: Anno ONB
  • Neue Freie Presse v. 28. Mai 1907, Seite 8: Anno ONB
  • Neue Freie Presse v. 28. Mai 1907, Seite 32: Anno ONB
  • (Neuigkeits) Welt Blatt v. 28. Mai 1907, Seite 5: Anno ONB
  • Wiener Zeitung v. 28. Mai 1907, Seite 4: Anno ONB
  • Neues Wiener Tagblatt v. 13. Januar 1917, Seite 13: Anno ONB
  • Neues Wiener Tagblatt v. 11. Juli 1925, Seite 24: Anno ONB

Kommentar schreiben

Kommentare: 5
  • #1

    Walter S. (Sonntag, 05 Mai 2024 23:58)

    Es ist immer wieder faszinierend, wenn ein Fenster in die Vergangenheit geöffnet wird und man erfährt, welch geistige und menschliche Größen in unserem Lebensraum, mit Einfluss bis in die heutige Zeit, wirkten. Vielen Dank Frau Kiradi, dass Sie diese Einblicke ermöglichen.

  • #2

    Romi Brandel (Montag, 06 Mai 2024 07:21)

    Danke für den wieder äußerst interessanten Beitrag. Es ist immer wieder faszinierend für mich, von Menschen bzw. deren Familien zu erfahren, die doch deutliche Spuren hinterlassen haben, man deren Namen herute aber nicht mehr kennt. Ich freu mich auf Ihren nächsten Beitraf

  • #3

    Günter Trinkler (Montag, 06 Mai 2024 08:23)

    Wären nur unsere Schulgeschichtsbücher mit diesen Informationen ausgestattet ich hätte viel früher zu meinem Hobby der Zeitgeschichte gefunden. Danke für ihre profunde Recherche. Bitte weitermachen.

  • #4

    Gerald E. (Montag, 06 Mai 2024 14:22)

    Bin immer wieder beeindruckt, wie uns hier das Leben jener oft von der Nachwelt vergessenen Menschen, deren Handeln aber doch noch heute Auswirkungen zeitigt, nahegebracht wird. Danke!

  • #5

    Heinz K. (Freitag, 17 Mai 2024 11:40)

    Wenn ich bei Friedhofsbesuchen Grabinschriften wie "Unvergessen" oder ähnliche lese, wird mir oft bewusst, dass dieser ehrlich gemeinter Spruch oft schon nach wenigen Jahren nicht mehr Gültigkeit hat. Bei diesem Blog bestätigt sich mein Eindruck. Umso mehr sind diese Informationen nicht nur interessant sondern rufen viele Vergessene ins Gedächtnis zurück oder noch viel mehr, dadurch werden unbekannte Persönlichkeiten uns nahegebracht. Ich kann meine Bewunderung und meinen Dank nur wiederholen und ich freue mich über den nächsten Beitrag - vielleicht auch einmal von einem anderen Friedhof, wobei der Zentralfriedhof noch unzählige Entdeckungen ("Geheimniss") hat. Nochmals danke, liebe Karin und lieben Gruß!